Neuer deutscher jazzpreis 2022


Rebecca Trescher Tentett gewinnt das Finale des 15. Neuen Deutschen Jazzpreis

Das fünfzehnjährige Jubiläum des deutschlandweit renommierten Wettbewerbs begeisterte am vergangenen Wochenende insgesamt knapp 500 Besucher:innen der Alten Feuerwache in Mannheim. Auf ein grandioses Auftakt-Konzert von Kurator Lars Danielsson (Kontrabass) im Duo mit Gregory Privat (Piano) folgte am zweiten Festival-Abend ein spannendes Duell zwischen dem Rebecca Trescher Tentett und dem Felix Henkelhausen Quintett. Das Trio um die Pianistin Olga Reznichenko war kurzfristig Corona-bedingt ausgefallen. Felix Henkelhausen und seine Band überzeugten mit Spielfreude und virtuoser Rohheit, Rebecca Trescher präsentierte farbenreiche  und spannungsvolle Arrangements und konnte mit ihrem Large Ensemble das Publikum schlussendlich für sich gewinnen. Der Wsp-Design-Solistenpreis ging an Wanja Slavin (Felix Henkelhausen Quintett).

Die IG Jazz Rhein-Neckar e.V. mit Martin Simon und Juliana Blumenschein gaben das vorläufige Ende des Preises bekannt und freuen sich auf das Landesjazzfest, welches Ende April 2023 in Mannheim stattfinden wird.


1.4.2022  Kuratorenkonzert

Mannheimer Morgen Plus-Artikel Konzertkritik Jazz 3.4.2022


Lars Danielssons mitreißender Gruß von Mannheim nach Lwiw
Starkes Kuratorenkonzert von Lars Danielsson beim Neuen Deutschen Jazzpreis


Mannheim. Auch die 15. (und vorerst letzte) Auflage des Neuen Deutschen Jazzpreises in der Alten Feuerwache Mannheim steht im Zeichen des Ukraine-Kriegs: In ihrer Begrüßung erinnern Martin Simon und Juliana Blumenschein vom Veranstalter, dem Verein IG Jazz Rhein-Neckar, nicht nur an den tragischen Unfalltod ihrer Mitglieder Christian Huber und Jörg Teichert Ende Februar. Sie blicken auch solidarisch nach Osten und hoffen, dass Musik in dieser Zeit etwas bewirken könne, so Simon. Das gelingt dem schwedischen Star-Bassisten und Preiskurator Lars Danielsson im Duo mit dem frankokaribischen Pianisten Grégory Privat glänzend.
Am meisten Beifall erhält ein Song mit direktem Ukraine-Bezug: „Lviv“ habe er vor vier Jahren in Lwiw (ehemaliger deutscher Name: Lemberg) mit Symphonieorchester gespielt, als an der ukrainisch-polnischen Grenze noch nicht an einen Krieg in diesem Ausmaß zu denken war. „Er bedeutet uns sehr viel“, sagt Danielsson und erntete schon für seine emotionale Ankündigung extrem viel Applaus. Die Vorschusslorbeeren löst das eingängige Stück schnell ein: Wenn Sting noch einen Text dazu schreiben und singen würde, hätte es absolute Pophitqualitäten. Das ist ein Stück weit typisch für die Kompositionen des 63-Jährigen, der erst als Student vom klassischen Cello zum Jazzbass konvertierte. Die Strukturen seiner Songs fasern selten komplett improvisatorisch aus, zumindest klassische Reminiszenzen tauchen immer wieder auf.
Live ist aber sein Zusammenspiel mit dem 37-jährigen Privat das Spektakulärste. Danielsson fokussiert auf den Rastalockenträger am kleinen Flügel wie eine Katze dem Sprung, besser: auf der Jagd nach Kreativität. Und was er dabei schon in den ersten Stücken „Nikita’s Dream“ und „The Fifth Grade“ vom aktuellen Album seines Projekts Liberetto mit dem Titel „Cloudland“ bringt ihm immer wieder zum Strahlen. So, als ob schon wieder Weihnachten wäre und Privat ihm auf dem Steinway eine Köstlichkeit nach der anderen servieren würde. Das ist auch der Fall, mal kleinteilig bis feinstofflich, aber auch zupackend und mit hoher Intensität. Ihr bis zur Perfektion präzises Zusammenspiel hätte sogar noch mehr Szenenapplaus verdient als die impressiven Soli. Denn sie reagieren nicht nur scheinbar spontan auf die Einfälle des Anderen, sondern agieren oft quasi „zweistimmig“. Eine wunderbare Einstimmung auf das Wettbewerbskonzert am Samstagabend.
Dazu können nur zwei der drei von Danielsson ausgewählten Finalistenbands antreten. Das Olga Reznichenko Trio musste wegen Corona-Infektionen von zwei Mitgliedern absagen, so dass noch das Felix Henkelhausen Quintett und Rebecca Trescher Tentet um die mit 10.000 Euro dotierte Hauptauszeichnung und die 1000 Euro für die beste Solistin beziehungsweise den besten Solisten konkurrieren.

Jörg-Peter Klotz © MM/Luca Ottmann
Jörg-Peter Klotz Ressortleitung Stv. Ressortleiter Kulturredaktion

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Fotos: © Manfred Rinderspacher

Das Kuratorenkonzert wurde u.a. durch die LBBW Stiftung der Landesbank unterstützt.


2.4.2022  Wettbewerbsabend

Auszeichnung - Das Rebecca Trescher Tentett gewinnt in Mannheim den 15. Neuen Deutschen Jazzpreis 3.4.22


Neuer Deutscher Jazzpreis in Mannheim: Tentet-Kollektivklang schlägt Einzelkönner


18 Musiker hätten auf drei Bands verteilt in der Alten Feuerwache um den Neuen Deutschen Jazzpreis (NDJ) spielen sollen. Dass vier davon quarantänebedingt ausfielen, zeigt, dass es für die Musikszene nicht wirklich leichter wird. Da das Olga Reznichenko Trio gleich zweimal betroffen war, musste es komplett absagen. In der Kürze der Zeit war es den Veranstaltern von der IG Jazz Rhein-Neckar und Kurator Lars Danielsson unmöglich, Ersatz zu bestimmen. Deshalb treten am Samstagabend in dem sehr gut gefüllten Mannheimer Kulturzentrum nur zwei Gruppen zum Wettbewerbskonzert an: Bei der Publikumsabstimmung setzt sich eine halbe Stunde vor Mitternacht das Rebecca Trescher Tentet gegen das Felix Henkelhausen Quintett durch und gewinnt den mit 10 000 Euro dotierten NDJ.


Extrem verschieden
Beide bieten Jazz auf höchstem Niveau, so extrem verschieden, dass man nicht mal von einem Vergleich zwischen Äpfel und Birnen sprechen kann. Wenn man das Bild weiter bemüht, handelt es sich bei beiden nicht mal um Obst. Die Klarinettistin Trescher hat für ihr Grande Ensemble mit Harfe, Cello und Vibrafon raffinierte Soufflees komponiert, die temperamentvollen Einzelkönner um den Berliner Bassisten Henkelhausen werfen an seiner lockeren Chef-Leine ihre Lieblingszutaten für brodelndes Gumbo in einen Topf. Beides schmeckt hervorragend. Die Entscheidung ist reine Geschmackssache - und fällt zugunsten der ungewöhnlicheren Formation aus.
Aus Publikumssicht liegt genau darin die Stärke des NDJ, dessen Zukunft nach dieser 15. Auflage mangels finanzieller Unterstützung in den Sternen steht. Aber wo erlebt man an einem Abend live derart unterschiedliche Ansätze? Das von Neuer Musik beeinflusste Piano-Trio Reznichenkos hätte ja noch ganz andere Akzente gesetzt, und die im Jazz Mode gewordenen elektronischen Klänge kamen kaum vor.
Das Tentet aus Nürnberg beginnt seine Stunde getragen. Dem ersten Stück „Verborgen im Wald“ hört man an, dass es von alten Eichen und Spaziergängen im ersten Lockdown inspiriert ist. Auch „Seeking Spider“ wirkt wie Filmmusik, allerdings für wortlose Zeichentrick-Klassiker. Das große Krabbeln der Instrumentalisten setzt sich schnell zu einem beeindruckend konzisen Ensembleklang zusammen, aus dem erstmals ein ausdrucksstarkes Solo des Tenorsaxofonisten Joachim Lenhardt heraussticht.

Die in Tübingen geborene Bandleaderin hat ihr Tentet erstaunlicherweise mit neun Männern komplettiert, die ihre Kreativität auf bis zu drei Instrumenten voll in den Dienst des Kollektivs und von Treschers großartig arrangierten Kompositionen stellen. Die stammen fast alle vom aktuellen Album „Paris Zyklus“, dass die vielfach ausgezeichnete 35-Jährige als Residenzkünstlerin an der Seine geschrieben hat.
Die Paris-Stücke „Gare de L’Est“, „Marais“ und „Lafayette“ beeindrucken nachhaltig. Auch dank herausragender Solo-Ausbrüche von Gast-Saxofonist Uli Wangenheim (statt Markus Harm), Harfenist Anton Mangold am Altsaxofon sowie von Schlagzeuger Silvio Morger und Pianist Andreas Feith, die sich in der Schlussnummer noch schnell für den Solistenpreis ins Gespräch bringen. Aber der kompakte Kollektivklang, der viel von einem Orchester und fast nichts von einer swingenden Big Band hat, ist das Alleinstellungsmerkmal dieser Formation. Im letzten Lied „Lafayette“, über die Reizüberflutung im gleichnamigen Konsumtempel erreicht das Tentett Höchstform, energetisch und ausdrucksstark.
Totales Kontrastprogramm kommt vom Quintett des 26-jährigen Henkelhausen: Der Kontrabassist selbst, der hochexpressive Saxofonist Wanja Slavin, der einst bei Seeed erfolgreiche Tenorist Uli Kempendorff und Drummer Leif Berger wären alle Kandidaten für den mit 1000 Euro dotierten Solistenpreis (den Slavin gewinnt). Ergänzt vom für Elias Stameseder eingesprungenen Pianisten Valentin Gerhardus bringen sie ihre individuelle Qualität ein, um das Material des Albums „Misanthropic Tendencies“ zum Klingen zu bringen - rasant, wild, virtuos dissonant wie in „Plastic Plants And Random Events“ oder mit einem elektrisierend fordernden Gesamtklang, aus dem die Instrumente immer wieder spitz hervorstechen. So etwa im spektakulären „Sketch #5“.

Weltklassebassist Lars Danielsson hatte am Abend zuvor schon gewitzelt, dass er froh sei, nicht in diesem Wettbewerb zu stehen. Aus gut 200 Bewerbungen wurden ihm elf vorgelegt. Daraus drei herauszufiltern empfand er als große Herausforderung. Der Schwede selbst hat mit dem frankokaribischen Pianisten Grégory Privat geglänzt. Den größten Applaus beim Kuratorenkonzert bekam das extrem spielfreudige Duo für ein Lied mit Ukraine-Bezug: „Lviv“ habe er vor vier Jahren in Lwiw (das einstige Lemberg) mit Sinfonieorchester gespielt. Der fast poppig strukturierte Song ist ein Stück weit typisch für die Kompositionen des 63-Jährigen, der als Student vom klassischen Cello zum Jazzbass konvertierte. Die Strukturen fasern selten komplett aus, zumindest klassische Anflüge tauchen immer wieder auf. Noch eine Spielart.

Jörg-Peter Klotz © MM/Luca Ottmann
Jörg-Peter Klotz Ressortleitung Stv. Ressortleiter Kulturredaktion

Fotos: © Manfred Rinderspacher

Wir möchten den Förderern und Sponsoren der IG jazz und dieser Veranstaltung von Herzen danken:


Allen voran der Stadt Mannheim mit OB Dr. Peter Kurz und dem Gemeinderat, der die
Kulturschaffenden in Mannheim ordentlich unterstützt. Dem Kulturamt unter der Leitung von Frau Schirra, mit Thilo Eichhorn als Ressortleiter Musik, die den Preis jährlich unterstützt haben. Unser Dank geht an die Verantwortlichen der alten Feuerwache gGmbH die uns bei der Vorbereitung und der Durchführung des Preises unterstützten. Wir danke der BASF SE und der Karin u. Carl Esser Stiftung für die Spenden. Wir danken der Heidelberger Firma Wsp Design mit Klaus Padutsch, der uns nicht nur mit
seinen Grafiken erfreut, sondern auch den mit 1000,00€ dotierten Solistenpreis spendiert.  Ebenso danken wir den weiteren Geschäftsführern der Firma WSP Design, Michael Steiner, Manfred Strehl, Mathias Weber. Wir danken der LBBW Stitung der Landesbank für die Unterstützung des Kuratorenkonzertes. Wir danken den Vorstandsmitgliedern der IG jazz für Ihr ehrenamtliches Engagement.  Und allen Mitgliedern, die sich aktiv an unserer Arbeit beteiligen. Wir danken Ihnen liebes Publikum für 15 Jahre Treue und freuen uns auf eine tolle Zukunftmit vielen weiteren Konzerten.


Seit 2006 vergibt die IG Jazz Rhein-Neckar e.V. in Kooperation mit der Alten Feuerwache Mannheim gGmbH den Neuen Deutschen Jazzpreis. Er ist mit 10.000.- Euro der höchst-dotierte Bandpreis für professionelle Jazzbands und der einzige Publikumspreis der deutschen Jazzszene. Das Festivalwochenende findet meist Ende März in der Alten Feuerwache Mannheim statt. 

Eine Fachjury wählt aus den meist über 200 Bewerbern in einer anonymisierten Anhörsession zehn Bands aus. 

Der/die jährlich wechselnde Kurator*in - immer ein/e international anerkannter Jazzmusiker*in – bestimmt aus dieser Vorauswahl drei Bands für das Finale in Mannheim.

Das dort anwesende Publikum entscheidet direkt nach den Konzerten mit Stimmzetteln, wer der/die Gewinner*in des mit 10.000.- Euro dotierten Bandpreises und des mit 1.000.- Euro dotierten Solistenpreises sein soll. 
Auch beim neuen Kompositionspreis der im Jahre 2017 das erste Mal durchgeführt wurde trifft eine Jury eine Vorauswahl und der Kurator wählt die drei Komponisten aus, die den Kompositionsauftrag erhalten. 

Die bisherigen Kuratoren waren Alexander von Schlippenbach, Wolfgang Muthspiel, Jasper van’t Hof, Joachim Kühn, Kenny Wheeler, Bojan Z., Django Bates, Louis Sclavis, Tomasz Stanko, Kenny Garrett, Jacky Terrasson, Norma Winstone und Wallace Roney, Renaud Garcia-Fons, Frank Möbus.n.